Erinnerungen an Ziegenort - Trzebież


Werner Trettin jun.            Werner Trettin sen.


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- aufgezeichnet von Werner Trettin jun. nach den Berichten seines Vaters und durch gemeinsame Reisen dorthin

Mein Vater, Werner Trettin sen., geboren 12.04.1912, zog mit seinen Eltern 1919 nach Ziegenort. Sie wohnten bis 1925 im Haus des Uhrmachers Funk im Parterre. Im 1. Stock wohnte Wachtmeister Schönfeld, der auch beritten seinen Dienst versah. Er hatte sein Pferd bei Funks im Stall untergebracht.

1925 zog die Familie in Ziegenort um in das Haus Hafenstraße, wo im Parterre seit einigen Jahren das Hafenamt ist. Die Wohnung war in der ersten Etage mit schönem Blick auf den Hafen. Die Eichen am Haus (genannt "Anlage") waren damals schon groß, und auch das Pegelhaus (kleines Gebäude zum Messen des Wasserstandes) gegenüber existierte schon.



Mein Vater verbrachte bis 1931 eine sehr schöne Kindheit und Jugend in Ziegenort. Durch Studium und Ausbildung zum Papiermacher-Ingenieur war er bis 1945 nur noch in Abständen in der geliebten Gegend.

Er besuchte 7 Jahre die Volksschule in Ziegenort. Es gab vom l. bis 7. Schuljahr je eine Klasse mit jeweils etwa 25 Schülern. Im Winter wurden die Klassen mit Braunkohle beheizt  Jede Klasse hatte einen Kachelofen.


Es unterrichteten: 

  • Fräulein Schmidt (Deutsch) - sie heiratete später den BauernHöhnke und musste wie alle Lehrerinnen damals nach derHeiratden Schuldienst aufgeben. 

  • Fräulein Skornig (Kunst)

  • Lehrer Brockmann (Deutsch)

  • Lehrer Krüger (Naturkunde, Erdkunde, Sport)

  • Lehrer Steffen (Geschichte)

  • Rektor Wiese (Deutsch)

Sportunterricht gab es nur in der warmen Jahreszeit. Die Schüler mussten zu einem Sportplatz hinter dem Bahnhof gehen - ein Weg etwa 30 Minuten. Es wurde hauptsachlich gelaufen. Einige Lehrer schlugen Schüler mit dem Rohrstock. Die Sitzordnung war abhängig von der Leistung: Die guten Schüler saßen hinten, die schlechten vorne. Hausmeister war Herr Kessel.

Die Lehrer waren in dem direkt neben der Schule liegenden Lehrerhaus unter­gebracht. Nach der 7. Klasse ging mein Vater zur Aufbaurealschule in Pölitz.

Freizeitmöglichkeiten in Ziegenort

Mein Vater genoss im Sommer besonders die Freizeitaktivitäten am Wasser. Gleich vor dem Haus war das Ruderboot mit Hilfssegel, mit dem kleinere Strecken, zum Beispiel zur Insel Leitholm zurückgelegt wurden.

                    
 Insel Laitholm

Lehrer Jöks nahm ihn und seine Eltern öfter zu Törns mit: nach Stepenitz, Misdroy und Mönkebude bei Ückermünde. Wetterberichte gab es noch nicht. So kamen się einmal in ein sehr schweres Gewitter. Es war eine lebensgefährliche Situation.

Viele Erwachsene konnten damals nicht schwimmen, auch die Fischer meist nicht. Mein Vater hat sich das Schwimmen recht mühsam durch Ratschlage von Verwandten angeeignet.

Damals gab es einen breiten Sandstrand in Ziegenort. Man hatte beim Aus- baggern der Fahrrinne viel Sand auf den Strand gespült.

Die Familie hatte durch den Hafenmeister Betz das Sonderrecht, am Wellenbrecher anzulegen und sich dort aufzuhalten. Das nutzte mein Vater in späteren Jahren gern aus: Er nahm Freundinnen mit herüber, um möglichst ungestört zu sein....

Im Sommer ging mein Vater öfter mit seiner Mutter in den Wald, um Blaubeeren zu sammeln. Im Herbst beobachtete er gern mit seinem naturinteressierten Vater Hirsche. Die Gegend war für ihren Wildreichtum bekannt. Im Winter war es ein besondere Spaß, auf dem Herzberg zu rodeln.

 
Herzberg 


Herzberg

Fischerei:

Der Vater meines Vaters, Hugo Trettin, war Schriftführer bei den Großfischern. Er wurde für seine Tätigkeit nicht bezahlt"; sondern bekam für seine Familie Fische: Zander, Hecht, Aal, aber auch die nicht so begehrten Arten wie Barsch, Blei (Brassen), Aalquappe. Die Großfischer fuhren damals nur mit Segelbooten raus aufs Haff. Ein solches Boot hatte Gaffel-Takelung, mań nannte es eine "Polt".


Fischerflotte 

Trotz jahrelanger Verbindungen zu den Fischern erfuhr Großvater Hugo nie etwas über Lachsfange. Vielleicht gingen diese Fische zu einem hohen Preis an die feinen Lokale in Stettin oder sogar nach Berlin.

Im Winter bohrten einige Fischer das Eis auf und stachen im Papenwasser mit etwa 5 Meter langen Lanzen Aale am Grund.

Der kleine Massenfisch Stint war Schweinefutter. Fischer zogen mit Karren durch das Dorf und riefen: „Holt Stint!’’

Großvater Hugo war längere Zeit Vorsitzender des Radfahrvereins Ziegenort. Um auf den Sandwegen besser fahren zu können, organisierte er eine Schiffsladung Schlacke von der Papierfabrik Feldmühle in Odermunde (Skolwin), wo er damals beschäftigt war. So wurden die Wege damit befestigt.


Radfahrverein Ziegenort -  Hugo Trettin


Radfahrverein Ziegenort (Dorfstrasse)


 Papierfabrik Feldmühle in Odermunde (Skolwin)

Großmutter Kathe nahm im Sommer Feriengaste aus Berlin auf und gąb ihnen Vollpension zu dem unglaublich günstigen Preis von 5 Mark pro Tag und Person.

So lernte mein Vater auch seine spätere Frau und meine Mutter Hertha kennen. Sie kam öfter mit ihrem Bruder und Freundinnen aus Berlin. Der Zug brauchte damals bis Stettin etwa zwei Stunden. Der Anschlusszug nach Ziegenort war dann mit 18 Stationen sehr langsam, er brauchte eine Stunde und 40 Minuten!

Im Haus Hafenstraße wohnte der Vermieter, Herr Krauthoff, im Parterre. Er war verantwortlich für die Leuchtfeuer in der weiteren Umgebung. Als Oder und Haff in dem sehr harten Winter 30/31 zugefroren waren und ein Eisbrecher die Fahrrinne bis Stettin frei hielt, musste eine Behelfsbrücke über die Eisbrecher-Rinne geschoben werden, damit er zu den Leuchtfeuern kam. Die Temperaturen erreichten längere Zeit bis 28 Grad Celsius unter Null.

Erwähnenswert:

Groß- und Klein-ziegenrot hatten damals etwa 3000 Einwohner. Es gab kein fließendes Wasser und nur Plumpsklos auf den Höfen.

Kaufmann Person hatte ein Geschäft nahe der Hafenstraße, verkaufte hauptsachlich Lebensmittel.

Kaufmann Klatt hatte nahe am Hafen viele Waren. Die meisten wurden ihm mit Pferd und Wagen von den Schiffen geliefert.

Milch kam mit Pferd und Wagen aus Wilhelmsdorf (Uniemyśl) mit offenem Verkauf in Kannen.

Den größten Saal gąb es im Hotel Pflugrads mit Theaterbuhne und Vereins-veranstaltungen.


Hotel Pflugrads 

Das einzige Kino war im Saal Person. Zu den Stummfilmen spielte der Friseur am Klavier.


Hindenburgstrasse- Kino Person.

Das am meisten besuchte Tanzlokal für Ziegenorter, Segler und andere Gaste war die Haffkante” .

Im Jahr 1937 flog ein großer Zeppelin über Ziegenort in Richtung Norden. Dampfschiffe kamen meist von Stettin nach Ziegenort, erst mit Kohle-Antrieb, zum Beispiel "Alfred" und "Stettin", ab etwa 1935 mit Diesel, zum Beispiel "Najade" und "Nymphe".



In der Landwirtschaft wurden hauptsachlich Roggen und Kartoffeln angebaut. Es war eine Mühle in Funktion, eine sogenannte Bockwindmühle. Sie existiert leider nicht mehr.

Das Korn wurde mit der Sense geerntet, in Garben zusammengebunden und Später im Dorf gedroschen. Ziegenort hatte damals drei Bäckereien.

Zwei Juden wurden Anfang der 40er Jahre von Soldaten aus ihren Häusern geholt und sehr wahrscheinlich in Konzentrationslager gebracht. Man sah się in Ziegenort nie wieder und es ist zu befürchten, das się das Hitler-Regime nicht überlebt haben.

 

Es waren der Klempner Rotstein und der Inhaber des einzigen Konfektions-Geschäftes: Herr Groß.

Meine Großeltern wollten es nicht wahr haben, dass się vor den heranrückenden russischen Truppen fliehen mussten. Sie ließen fast alles zurück und nahmen die letzte Eisenbahn, die im März 1945 nach Westen ging.
Mein Vater nahm się in seine Wohnung in Schleswig-Holstein nürdlich von
Hamburg (Glückstadt) auf. Großvater Hugo hatte keine positive Lebensperspektive mehr und starb schon 1946. Großmutter Kathe lebte noch bis 1957.
Beide haben nach ihrer Flucht Ziegenort nicht mehr wiedergesehen.

Mein Vater kehrte nach langem Zögern 1976 alein für einen Kurzbesuch nach Ziegenort zurück. 1983, 1992 und 2002 reiste ich zusammen mit ihm dorthin. Es waren sehr unterschiedliche Eindrücke.

Wunderbare Begegnungen hatten wir am 22. und 24. Juli 2002 mit unglaublich großer Gastfreundschaft und sehr interessierten Menschen.

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